Transborder (2020)

„Das elterliche Vermächtnis ist eine der wichtigsten Triebkräfte im Leben. Wir erben nicht nur Gene, wir erben Hoffnungen, Motivationen, Ängste, Zwänge, Werte, Bestreben; wir erben Fähigkeiten (versteckte und verwirklichte), Schwächen, Irrtümer, Kraft und vieles mehr. Genauso sind geschichtliche Vermächtnisse Erbgut, mit dem man sich auseinandersetzen muss; manches akzeptiert man, manches lehnt man ab, manches führt man fort, manches zwingt man sich zu vergessen und zu tilgen. […] Es ist eine lange Kette von Geschichtlichem und Biologischem, von Existentiellem und Gedanklichem, von Materiellem und Spirituellem, deren Teil wir sind. Unabhängig bis zu einem bestimmten Grad, abhängig in vieler Hinsicht.“
(János can Togay, in: „Dritte Generation Ost. Wer wir sind, was wir wollen“)

Nach ihrer intensiven Beschäftigung mit der 3ten Generation Ost richtet Romy Weyrauch im Projektvorhaben „TRANSBORDER“ ihren Blick auf die Nachwendegeneration, also die nach 1989 Geborenen. Im Rahmen einer umfassenden Recherche, die sowohl auf künstlerische Mittel als auch ethnografische Methoden zurückgreift, erkundet sie welches Erbe 40 Jahre Deutsche Demokratische Republik, Revolution, Mauerfall und der anschließende Transformationsprozess nach der Wiedervereinigung der Nachwendegeneration hinterlassen hat. Inwiefern wirkt die innerdeutsche Teilung und deren Ende als Spur bis heute weiter und hat Einfluss auf das Denken, Fühlen und Handeln junger Erwachsener in der Gegenwart?

Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die Grenze, die einst das Land und viele Familien zerteilte, noch immer erlebbar ist: In den Erzählungen und Erinnerungen der Familien, aber auch in Leerstellen und Halbsätzen. Und in den Narben, die eben nicht nur an der ehemaligen Grenze, sondern auch im Innern vieler Menschen zu finden sind, die in der DDR aufwuchsen. Staaten verschwinden manchmal plötzlich, aber Werte und Vorstellungen von einem guten und richtigen Leben sind von längerer Dauer und werden teilweise über Generationen weitergegeben ohne dabei großen Veränderungen zu unterliegen.

Wie sieht das Erbe aus, das die in der ehemaligen DDR sozialisierten Familien ihren Kindern hinterlassen hat und inwiefern beeinflusst es das Selbst- und Weltbild der Nachwendegeneration? Wie guckt die Nachwendegeneration heute auf Staat und Gesellschaft? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede prägen die jungen Menschen in dieser Generation in Ost und West? Welche politischen Prägungen liegen vor? Unterscheiden sich junge Ost- und Westdeutsche in ihrer Perspektive? Und wenn ja: In welchen Punkten und warum? Diesen Fragen geht Romy Weyrauch im Rahmen des Arbeitsstipendiums der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen nach.